Psychologie der Veränderung – oder „Diesmal halte ich [hier Wunsch einfügen] durch!“
„Ich habe bestimmt schon 27mal mit dem Rauchen aufgehört!“
„Das ist meine dritte Diät dieses Jahr.“
„Diesmal halte ich durch – ich war letztes Monat auch bestimmt vier mal Laufen.“
„Jetzt trainiere ich bereits seit einem Monat dreimal wöchentlich – sieht man bereits Muskeln?“
Wer kennt solche – oder ähnliche – Aussagen nicht; bestimmt kennt jeder erwachsene Mensch eine Person, die mit den Herausforderungen einer Verhaltensänderung kämpft.
Warum sind Veränderungen meist mit hohem Kraftaufwand verbunden und – vielleicht noch wichtiger – warum dauern diese so lange?!?
Aber zunächst von vorne (für die ganz Eiligen: einige relevante Praxistipps finden Sie im letzten Absatz dieser Seite). Jegliches Verhalten ist entweder angeboren (z.B. Reflexe wie: Schlucken oder die Hand schnell von der heißen Herdplatte zu nehmen) oder erlernt (z.B. essen, sprechen, sportliches Training). Somit handelt es sich IMMER um ein lang erprobtes Muster, welches von uns selbst – zumindest irgendwann einmal – als sinnvoll erachtet wurde. Solche Muster hinterlassen Spuren…Spuren in unserem Gehirn in Form von neuronalen Bahnen und Netzwerken, welche durch das häufige „Training“, die Synapsen schneller zum feuern bringen (dadurch wird Information weitergeleitet). Je länger wir etwas erlernen/üben, desto leichter fällt es uns, dies auszuführen – später läuft es meist sogar automatisch ab (oder müssen Sie vor jeder Bedienung Ihres Fernsehers/Herdes/Smartphones immer wieder die Bedienungsanleitung lesen?).
Soweit nichts Neues – nur altbekanntes (dennoch für das Verständnis hilfreiches) Wissen. Auch die Neuroplastizität ist inzwischen sehr bekannt; unser Gehirn bleibt ein Leben lang veränderbar! Damit ist nicht die Struktur gemeint (der Frontallappen bleibt – hoffentlich – immer an der gleichen Stelle), sondern vielmehr die Funktionalität. Neurone können sich immer weiter vernetzten, neue Verbindungen eingehen und alte, nicht mehr benötigte Verschaltungen, aufgeben. Nicht nur das; aus der Neurowissenschaft wissen wir, dass verschiedene Aufgaben von unterschiedlichen Arealen des Gehirns übernommen werden. Zum Beispiel wird Sprache im Broca-Areal generiert, welches im Frontallappen liegt. Wird ein solches Areal irreparabel geschädigt (z.B. durch einen Unfall), kann ein anderes Areal dessen Aufgabe übernehmen! Dies geschieht natürlich nicht über Nacht und benötigt einiges an Übung und Durchhaltevermögen. Das Gehirn ist sozusagen immer „under construction“…
Damit neue Verhaltensweisen stabil und dauerhaft werden, benötigen wir nicht nur neu gebildete neuronale Datenautobahnen, sondern auch ausreichend Motive! Hier wurde bewusst die Mehrzahl gewählt, da der Wunsch einer Veränderung meist mit einem Sammelsurium von Motiven einhergeht. Wenn jemand z.B. anstrebt, mehr Sport zu treiben um besser in Form zu kommen, um sich abzureagieren und überschüssige Energien loszuwerden (ja, so etwas gibt es auch noch in der heutigen schnelllebigen und fordernden Zeit), gesünder zu werden, um etwas Zeit für sich zu haben, um attraktiver auf das gewünschte Geschlecht zu wirken,… Diese Motive und Beweggründe gilt es herauszuarbeiten – je mehr, desto besser. Denn so steht dem Altbewährtem und somit leichter umzusetzendem Muster einiges an Gründen entgegen, warum es sinnvoller wäre, neue – derzeit noch unbequemere – Wege zu gehen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Annäherungsmotive (Hin-zu: „Ich möchte mind. 3x in der Woche laufen gehen um fitter und aktiver zu werden“) oder Vermeidungsmotive (Weg-von: „Mir ist dieses Couchpotato-Dasein zuwider; ich möchte nicht mehr so träge und ständig außer Puste sein“) handelt.
Ein wichtiger Punkt noch; je emotionaler aufgeladen die Motive sind, d.h. mit dem Erreichen eines Wunschzustandes ausgelösten und verbundenen Gefühle, desto leichter wird die Umsetzung gelingen.
Soviel zur Theorie; was heißt das nun konkret für die Praxis?
- Die gute Nachricht: Wir können jederzeit ein neues Verhalten erlernen.
- Dazu sind klar ausformulierte Ziele notwendig: Nicht „Ich möchte abnehmen“ sondern „Bis zu welchem Zeitpunkt (Termin!) möchte ich welches Zielgewicht erreichen“. Und bitte tun Sie sich einen Gefallen: Stecken Sie sich realisierbare Ziele – nichts bremst mehr, als ein unerreichbar scheinendes Ziel. Lieber mehrere, erreichbare Etappenziele (das bringt auch gleich Erfolgsmotivation), als ein einzelnes gigantisches Ziel.
- Diese Ziele sollten nicht nur rational, sondern auch emotional sein. Um schnell und effektiv in Bewegung (motion) zu kommen, braucht es mit dem Ziel verkoppelte Emotionen. Diese wirken wie ein Treibstoff; warum möchte ich mehr Sport betreiben, mit dem Rauchen aufhören, mich gesünder ernähren,… Was wird dadurch alles möglich/leichter/besser, wie werde ich mich fühlen wie wird nach dem Erreichen des Zieles mein Selbstbild sein?
- Die schlechte Nachricht: Es wird Zeit brauchen…bestimmt um einiges mehr Zeit, als Ihnen lieb ist. Ganz ehrlich; Ihr altes Verhalten hat sich auch nicht bereits mit 3 bis 9 Wiederholungen etabliert – warum sollte es sich also mit dem neuen Muster anders verhalten? Im Endeffekt leistet ihr Gehirn zwei – energieraubende – Aufgaben: Die alte Gewohnheit muss aktiv unterlassen/kontrolliert werden (ein Reiz löst das Verhalten bereits automatisch aus) und darüberhinaus ein neuer Ablauf etabliert und automatisiert werden. Speziell in dieser Phase ist die Selbstregulation essentiell.
- Überprüfen Sie in VERNÜNFTIG definierten Abständen Ihren Status (ein Wiegen nach ausgiebigen Mahlzeiten oder auf täglicher Basis erfüllt NICHT dieses Kriterium und kann nur zu Demotivationszwecken empfohlen werden).
- Belohnen Sie sich für erreichte Zwischenziele! Gehen Sie nicht zu hart mit sich ins Gericht; auch wenn ein Ergebnis nicht ganz mit Ihrem (Etappen-) Ziel übereinstimmt, haben Sie dennoch durchgehalten. Das ist nicht selbstverständlich und verdient Beachtung.
- Bei Bedarf adaptieren Sie Ihren Plan oder Ihre Strategie für die Zielerreichung. Bleiben Sie flexibel und überprüfen Sie den Preis, den es zu bezahlen gilt.
- Wenn es mal so gar nicht läuft und die Frustration überhand nimmt, soll das kein Freibrief für unkontrolliertes Verhalten sein. Warten Sie einige Minuten, bis Sie eine Handlung setzen und führen Sie sich erneut Punkt 1 und 2 vor Augen. Bleibt dennoch ein (meist selbstschädigender oder –belohnender) Impuls, tun sie etwas drittes, neutrales. Also weder das alte noch das neue Verhalten. ACHTUNG: Werfen Sie nicht die Flinte ins Korn – zumindest nicht nur, weil es derzeit nicht ganz so nach Plan läuft. Wir sind Menschen und keine Maschinen…
- Bleiben Sie dran und sich dennoch selber treu! Mal wird es leichter, mal wird es schwerer sein. Behalten Sie das große Ganze im Auge – versteifen Sie sich nicht auf Details. Sie sind zum Zieltermin noch immer Raucher, rauchen täglich aber 5 Zigaretten weniger?! Gratuliere! „Steter Tropfen höhlt den Stein“, beginnen Sie mit den gewonnen Erfahrungen von Neuem.
„Nicht weil es schwer ist, wagen wir’s nicht, sondern weil wir’s nicht wagen, ist es schwer. – Seneca
Halten Sie durch!
Ihr René Pilz